Wenn Eisenbahner streiken und Zugreisen ungemein erschwert werden, dann handelt es sich um eine absichtliche Störung des öffentlichen Lebens. Doch wenn Bauern mit 7.000 Traktoren vor den Bundestag fahren, assistiert von Trucks und Transportern der Speditionen und Handwerker, und alle Redner der Regierung ausbuhen, dann wird dies als legitimer Protest und von demokratischer Auseinandersetzung getragen gesehen. Eine Bevölkerungsgruppe, die am liebsten schwarz wählt, zeigt den Politikern den Stinkefinger und macht keinen Hehl daraus, dass sie Neuwahlen fordern. Die Opposition, vor allem CDU/CSU, solidarisierten sich mit den Landwirten. Bei Neuwahlen hätte sie gute Chancen, in die Regierung zurück zu kommen. Die Umfragewerte für die CSU liegen gerade bei 40 %.
Selbst die Süddeutsche Zeitung zweifelt an der Führungsqualität von Kanzler Olaf Scholz. Für sie ist Boris Pistorius der bessere Mann an der Spitze Deutschlands. Das wäre die Variante der „totalen“ Regierungsumbildung. Doch die Bauern möchten vor allem, dass die Grünen die Koalition verlassen. Außenminister Annalena Baerbock hat viel Ansehen gegenüber den Wahlkampfzeiten eingebüßt. Robert Habeck sieht sich als Schattenkanzler. Er gehört zur Klasse der Alphatiere. Ihn weg zu bringen, wird schwierig.
Ganz wesentlich für den Halt einer Regierung in Deutschland sind Großunternehmen. Ihre Manager sind Politikern sehr ähnlich geworden. So fungieren sie auch als Berater. Wenn sie den Daumen nach unten strecken, bedeutet dies das Ende einer Regierung. Die Rezession trifft die Branchen sehr unterschiedlich. Insofern gibt es noch keine einheitliche Geste. Doch die Stagnation belastet die Regierung. Durch ihre Finanznot kann sie gerade bitter nötige Hilfsprogramme für die Wirtschaft nicht auflegen. Den Bauern die Dieselsubvention zu streichen, sieht jeder Ampelpolitiker inzwischen auch als Fehler. Sie zurück zu nehmen bedeutet Gesichts- und Machtverlust.
In der bayerischen Wählergunst liegen die Ampelparteien gerade bei 23 % Wählerzuspruch. Insofern ist die Ampel angezählt. Doch sinkende Umfragewerte sind für viele Regierungen typisch. Zu oft müssen unangenehme Entscheidungen gefällt werden. Die Deutschen wehren sich gerade gegen Bevormundung und Ideologisierung. Eigentlich begann es so richtig zu brodeln beim Heizungsgesetz. Schließlich wurde es aber doch eingeführt, was für die Handlungsfähigkeit der Regierung sprach. Noch wird viel in der Ampel gestritten, doch es kommt bislang am Ende immer eine Lösung heraus, die von allen drei Parteien getragen wird. Die Grünen-Basis geht freilich nicht mit, wenngleich auch sie an der Macht bleiben will und sich deshalb kleinlaut verhält.
Viele Deutsche sehen in den Bauern-Protesten ein Ventil für ihre eigene Unzufriedenheit mit der Regierungspolitik. Die Bauern selbst schämen sich vielfach derer Aktionen. Doch die Sympathie, die ihnen aus der Bevölkerung entgegengebracht wird, lässt sie weiter „Unruhe“ stiften, gerade wenn es der Bauernverband schafft, sie ferner zu mobilisieren. Insofern ist der Zeitpunkt weiter ideal! Doch daraus entsteht keine Bedrohung der Regierung. Die Rücktrittsforderungen werden verhallen. Und wie geht es mit der Wirtschaft weiter? Vermutlich belebt sich in 2024 die Weltwirtschaft, steigt der deutsche Export wieder. Dann hat die Regierung Glück gehabt. Die Manager werden sie ertragen.
Womöglich drückt die Gefahr, dass Trump wieder an die Macht kommt, schon auf die Zukunftsaussichten. Je mehr Vorwahlen er gewinnt, desto schwerer haben es die Gerichte, seine Kandidatur zu verhindern. In der Tat ist kaum vorzustellen, wie schnell sich die Lage Europas verschlechtert, wenn Trump ins Weiße Haus erneut einzieht. Manfred Weber hat völlig Recht, eine eigene Verteidigungsfähigkeit Europas gegen Putin zu fordern. Aber wird sie schon Anfang nächsten Jahres stehen? Realistisch nein. Es mangelt an Soldaten, Waffen und Führung. Eine Ampel wird dann zu lange brauchen, zu Entscheidungen zu kommen. Dann wäre die große Koalition unter Führung der CDU wieder geboten.
Aber noch demonstrieren die Bauern, am besten immer in Berlin. Sie werden von allen unterstützt, die auch gerade höhere Gebühren und Steuern hinzunehmen haben: Spediteure (Mauterhöhung), Gastronomen (19 % MwSt.) und Handwerker (Fortfall der Strombremse). Es bleibt länger unruhig, aber nicht bedrohlich. ek
Foto: hoch3media / unsplash
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