Mehr und mehr wird klar, dass das Jammern der deutschen Wirtschaft und das Rezessionsgerede aus dem Protest der Wirtschaft gegen die Berliner Politik kommt. Natürlich hat die Weltwirtschaft einen Gang zurück geschaltet aus den Finanzfolgen des Covid-Shutdowns und der mentalen Befangenheit, die als Post-Covid-Syndrom der Wirtschaft weltweit beschrieben werden kann. Doch solche Schwächephasen des Exports lösten bisher keine Rezession aus. Die Konsumzurückhaltung aus der Inflation kommt hinzu, aber sie ist viel geringer als es die Lieferkettenprobleme waren. Interessanterweise opponieren gerade die Wirtschaftsverbände und die IHKs. Präsident Prof. Lutz nimmt kein Blatt vor den Mund und spricht Klartext zur Wirtschaftspolitik der Ampel. Der Wirtschaftsminister wird wieder zum „Kinderbuchautoren“.
Andererseits folgt Habeck doch immer den Wünschen der Wirtschaft. Protest kommt dann von Prof. Fuest, Chef des Ifo-Instituts. Er lehnt Industriestrom-Sonderpreise und Bürgschaften für Siemens Energy ab. Andererseits hat Prof. Fuest auch die Aussetzung des Merit-Order-Prinzips bei der Strompreisfindung abgelehnt. Übrigens, die sog. „Übergewinne“ wurden nur sehr partiell von der Stromwirtschaft eingefordert: 100 Mrd. €, die wir 2022 für den Strom zu viel zahlten (Gewinne der Stromerzeuger aus dem Merit-Order-Prinzip), wurden nicht zurückgezahlt. Wie reich Deutschland doch ist!
Andererseits muss Prof. Fuest zugute gehalten werden, dass er nun von einem Silberstreif am Konjunkturhimmel spricht: Im 4. Quartal ’23 wird die Wirtschaft Deutschlands wieder wachsen. Zugleich ging die Rezession in Deutschland von August auf September um mehr als ein halbes Prozent zurück (in einem Monat!). Wenn dies nun dynamisch betrachtet wird, sinkt die Inflation weiter. Wir nähern uns bald den Werten, wie sie in den USA bereits erreicht wurden: Es wird bald die 3 vor dem Komma stehen. Wenn ich die Nominalwerte des BIPs dann mit 3,x Prozent abwerte, wird ein gutes Realwachstum heraus kommen. Noch besser: Das ganze Jahr 2023 wird mit dem Inflationswert des Dezembers korrigiert – und oh Wunder: die Rezession gab es nicht.
Wir sollten auch die Aussagen zur Wirtschaftsentwicklung von ihrer hohen Bedeutung relativieren: Es werden Unternehmen befragt nach ihrer Einschätzung der Zukunft. Jede Stimmungslage schlägt da durch. Aus der gegenwärtigen Empfindung wird die Zukunft gesehen. Dann werden diese Noten nach dem Komma gerechnet und kommentiert. Diese Wachstumsprognosen könnten ersetzt werden durch den Stimmungswert der Wirtschaft. In diesen Stimmungswert schlagen das Wetter, Urlaubsperioden, Jahreszeit und das allgemeine Wirtschaftsgerede durch. Während des Oktoberfests sehen z.B. Münchner Unternehmen gelassener in die Zukunft. Mehr und mehr werden reale Werte durch solche psychologischen Meinungen ersetzt. Wie der Handel auf das Weihnachtsgeschäft Anfang November blickt, zählt stärker als der dann tatsächliche erzielte Gesamtumsatz.
Kurzum, unsere Wirtschaftspolitik neigt zur Hysterie, folgt Stimmungen, relativiert echte Innovationen, gleicht einem Wirtschaftsclub. Der Präsident gibt die Lage vor, der dann alle zuzustimmen haben. Damit entfernen wir uns immer mehr von der Objektivität, werden empfänglich für Wirtschaftspopulismus und Phantasten. Das Medienbild eines Unternehmers zählt mehr als die Aktiva der Bilanz. Darin liegen erhebliche Gefahren – nicht nur für Anleger. ek