Im Sommer 2020 konnten sich die wenigsten vorstellen, dass die Infektionen im Herbst so ansteigen würden, dass es einen zweiten Lockdown geben würde. Der Infektionszustand ist nun in 90 % Bayerns so, dass vom Ende der 2. Welle gesprochen werden kann. Rund 10 % der Fläche zeigt noch Inzidenzzahlen über 100. Für die gelten die Lockerungen von letztem Donnerstag sowieso nicht. Die derzeit glücklichen 90 % dürfen nun aber zur kleinen Normalität zurückkehren, vergleichbar mit dem Lockdown light im Herbst, nur eben umgekehrt. Eigentlich müssten die Unternehmer und ihre Verbände in Jubel ausbrechen. Doch das Gegenteil ist der Fall.
Sicher ist es richtig, die Zahlen vor Ort zum Maßstab für Lockerungen und Schließungen zu verwenden. Landrat Albert Gürtner fordert dies ja kräftig. Nun bekommt er voll recht, nur mit vier Wochen Verspätung. Ab heute darf der gesamte Einzelhandel in unserem Landkreis wieder öffnen. Doch wenn die Inzidenzwerte nur um 10 steigen, müssen sie schon wieder auf call & collect umstellen. Das wird so sicher kommen, wie diese sich schon vorletzte Woche begonnen hat, sich zu verschlechtern. Der Grund: Die Frühlingsgefühle ließen Unachtsamkeit aufkommen. Und die neuen Mutanten erhöhen das Ansteckungsrisiko um 50 %. Sie greifen verstärkt um sich. Und nun kommt der Pferdefuß der neuen Lockerungsbestimmungen: Die Beschränkung persönlicher Begegnungen wird um 50 % bzw. 75 % aufgehoben. Zusätzlich soll der Schulbetrieb wieder auf den Stand von September 20 gehoben werden. Dagegen kann kein Einzelhändler oder Kulturschaffender, kein Wirt oder Hotelier etwas unternehmen, so sehr sein persönliches Hygienekonzept auch eingehalten wird.
Wäre nur der Einzelhandel unter diesen Bedingungen wieder geöffnet worden, hätte sich die Inzidenz nicht verschlechtert – Studien und Praxis über ein Jahr belegen das. Doch so wird die Wirtschaft ans Gängelband des Schulbetriebs und persönlicher Lockerungen gehängt. Es wird zu Chaos und sehr viel Verdruss führen. Die Impfungen kommen nicht schnell genug voran, um dies auszugleichen. Nun verschanzen sich Söder und selbst Wissenschaftsminister hinter den Tests. So soll 2 x die Woche nachgeschaut werden. Eine Infektion lässt sich mit Tests nicht verhindern. Sie können nur Infizierte schneller erkennen und
drücken so den sog. R-Wert vor stärkerem Anstieg. Doch Infektionen ereignen sich viel schneller als nun getestet werden soll. Die vorgesehenen Testintervalle sind zu lang und der Vorrat an Tests ist zu klein. So kommt es durch die Tests doch zum Nachweis erhöhter Infektionen und zum Anstieg der Inzidenz.
Schon wird wieder nur an das Ansteckungsrisiko der betroffenen Berufskategorien gedacht. Also werden Lehrer geimpft. Es ist aber unwahrscheinlich, dass ein Lehrer seine Klasse ansteckt als vielmehr über die Schüler das Virus eingeschleppt wird. Wenn viel Impfstoff zur Verfügung stünde, wäre dies natürlich richtig. Dann könnten alle in Betrieben Arbeitende gleich mitgeimpft werden. Aber das sind alles Wunschträume zumindest bis Juni. Wir werden also im März, April und Mai die meisten Einzelhandelsgeschäfte, abgesehen von den jetzt kategorisch unschließbaren, noch geschlossen sehen. Mangels intelligentem Impfen wird von der Inzidenzzahl nicht abgerückt. Und den Wirten und Hoteliers geht es noch schlechter. Außengastronomie im März und April ist eh nur an Sonnentagen möglich. Und davon gibt es in diesen beiden Monaten nicht viele.
Doch das ist nicht das Problem, weil ja bei Inzidenzien über 50 eh wieder alles zu stoppen ist. Es wird zum Palaststurm der Mittelständler kommen. Die Stammwähler der CSU/CDU verlieren den Glauben an diese Parteien. Im Wahljahr 2021 hat dies Folgen. Es wäre viel vernünftiger gewesen, die Bereiche zu öffnen, von denen kein Infektionsrisiko ausgeht und mit den übrigen so lange zu warten, bis die Impfungen einen Ausgleich in den Inzidenzien erbringen. Hatte dies Markus Söder nicht auf dem Schirm? Eloquent wie immer verkaufte er das ausgehandelte Konzept der Ministerpräsidentenkonferenz. Die Zuhörer nahm er mit, aber das Virus hört Söder nicht zu. Es verbreitet sich stärker, gerade an Schlecht-Wetter-Tagen. Mangels intelligentem Impfen kann die Inzidenz nicht verlassen werden. Söder hat sich dem Schachmatt angenähert.
Noch wäre Zeit, bei evidenten Verschlechterungen die Erleichterungen im persönlichen Kontakt und den Schulbetrieb wieder auf Topkrise zu setzen. Aber dann wird der Einzelhandel auch geschlossen sein. Eine kategorische Öffnung unabhängig von der örtlichen Inzidenz wäre Gebot der Stunde und epidemologisch richtig gewesen. Auch die Museen gehörten in diese Kategorie. Selbst Kinos können ansteckungsfrei betrieben werden. Das Risiko schlummert nicht dort, wo es streng vermieden wird. Sondern in den persönlichen Begegnungen, im Privaten. Dort nützen auch bald Vorschriften nichts mehr. Gerade wenn gelockert und zwei Wochen später schon wieder zurückgenommen wird. Auch hier werden Wähler vergrault. ek