Die Angst der Bevölkerung vor Überfremdung ist bei den Mitteparteien angekommen, nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Der rechte Flügel hat in allen Ländern Wähler hinzugewonnen. Eine natürliche Reaktion, wenn die Einwanderung als zu stark empfunden wird. Fakt ist, dass Europa als Zufluchtsregion sehr beliebt und nah ist, aber auch, dass die Ursachen für die Flucht stärker werden, v.a. wegen des Klimawandels. Er steht auch hinter vielen regionalen Kriegen. Da die Industriestaaten, auch der EU, als die Hauptverursacher des Klimawandels identifiziert sind, fühlen sich die Flüchtlinge im Recht, nach Europa zu migrieren. Der Klimawandel gefährdet also auch den inneren Frieden Europas.
Europa gilt aber auch als Wertebündnis, allen voran die Wahrung der Menschenwürde. Aus ihr erwächst das Asylrecht, also allen Aufnahme zu gewähren, deren Leben durch Krieg, Verfolgung und Katastrophen bedroht ist. Andererseits gibt es Grenzen der Aufnahmefähigkeit. Sie zwingen, das Asylrecht enger auszulegen, also den Wirtschaftsflüchtling auszuschließen, wenn dessen Leben nicht bedroht ist und die Flucht nur wegen des Wohlstandsgefälles angetreten wird. Auch der echte Asylant könnte Sicherheit in Nachbarländern finden, zumal die EU bemüht ist, diesen Ländern unter die Arme zu greifen. Ein Teil davon findet sich in den Zahlungen der Industriestaaten an Entwicklungsländer, die besonders unter dem Klimawandel leiden.
Insofern verstößt die Abschottung Europas nicht gegen den Wertekodex. Das Grenzsystem ist nicht perfekt. Es kommen immer noch Tausende über die grüne Grenze bzw. über das Mittelmeer. Ob Aufnahmelager ausserhalb Europas dem Wertekodex entsprechen, wird vor allem von ihrer Ausgestaltung abhängen. Eine Kasernierung ist sicherlich unzulässig. Da aber unsere Flüchtlingsunterkünfte oft auch nicht besser sind – wenigstens können die Flüchtlinge die Unterkünfte verlassen –, ist der Standort in oder ausserhalb Europas egal. Wenn die Asylsuchenden bei uns nicht arbeiten dürfen, dann handelt es sich auch um einen Verstoß gegen ein Menschenrecht (Freiheit).
Wer von Schleusern auf seeuntauglichen Booten nach Europa gebracht wird, riskiert prinzipiell sein Leben. Dass diese Menschen vor dem Ertrinken gerettet werden, gebietet schon das Völkerrecht. Sie haben aber kein Recht, nach Europa gebracht zu werden. In letzter Zeit werden die Pushbacks der griechischen Küstenwacht verurteilt, also das Zurückdrängen der Flüchtlinge aus europäischen Gewässern. Hier geraten wir in einen schwierigen Rechtskonflikt: Einerseits muss die Küstenwacht die Grenze schützen, also Eindringlinge abwehren, andererseits muss das Leben der Eindringlinge gerettet werden. Wenn nun die Geretteten in Auffanglager kommen, die sie frei verlassen können, dann haben sie doch die Grenze zu Europa überwunden. Hier ist es sinnvoller, sie zu Lagern ausserhalb Europas zu bringen, in denen die Menschenrechte gewahrt werden. Wenn die EU für diese Unterbringung Drittstaaten entschädigt, muss das gewährleistet sein. Wenn Erdogan Afghanen aus den Auffanglagern zurück in ihr Land schickt, verstößt er gegen dieses Gebot.
Der Grundsatz der Abschreckung, nach Europa zu flüchten, steht gegen den Wertekodex Europas. Es ist sowieso zweifelhaft, ob diese Abschreckung wirkt. Die Bootsflüchtlinge wissen, dass viele ertrinken. Dennoch bezahlen sie für diesen Versuch, nach Europa zu gelangen. Das Ertrinken aber bewusst alt Abschreckung medial herauszustellen, ist unmoralisch. Warum kann Asyl nicht über das Handy beantragt werden, so wie es die USA schon praktizieren? Wir sollten den Wirtschaftsflüchtlingen die Chance geben, als Arbeitskraft nach Europa zu kommen, wenn wir Arbeitskräftemangel haben. Das kann auch ordentlich geregelt werden. So muss kein Schleuser bezahlt und kein Leben in den Booten riskiert werden. Hier eignen sich die Botschaften im jeweiligen Land als Anlaufstellen. Es gibt also Lösungen, den Druck auf Europa zu regeln, ohne die Menschenrechte zu verletzen. Europa muss sie umsetzen. ek
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