Letzte Woche feierte sich die Bundesrepublik. Sie ist nur so alt wie das Grundgesetzt. Die Fundamente unseres Staates liegen also in der Legislative, wobei die Verfasser des Grundgesetztes nicht selbst aus dem Parlament kamen, sondern Rechtsgelehrte waren. Das Erstaunlichste aus heutiger Sicht: Dieses juristische Fundament wurde auf der Herreninsel im Chiemsee innerhalb 14 Tagen erarbeitet. Natürlich kam jeder Teilnehmer mit jahrelang erarbeiteten Idealvorstellungen. Ohne eine Grundübereinstimmung über Menschenrechte und Wirtschaftssystem wäre diese Effizient nicht zu erreichen gewesen. Noch erstaunlicher: Wir leben sie heute noch. Die Gewaltenteilung hat gehalten.
Solch eine Genialität bräuchten wir heute für die Grundanleitung zum Verfassen von Gesetzen. Denn in ihnen steckt der Großteil der beklagten Bürokratie. Es nützt nichts, wenn Politiker im Wahlkampf geloben, die Bürokratie abzubauen. Selbst das Ziel „one in, one out“, also für jedes neue Gesetzt muss ein früheres außer Kraft gesetzt werden, ist nicht Pflicht. Es muss Verbindlichkeit geschaffen werden zur Regelungsnötigkeit, zur Regelungstiefe und zur Regelungsdauer. Schließlich tragen die Parlamentarier als Hauptaufgabe das Absegnen von Gesetzen. Doch es könnte auch darin bestehen, unnötige Gesetze zu eliminieren oder wichtige zu verbessern, am liebsten zu vereinfachen. Stattdessen erleben wir eine nie dagewesene Regelungswut bei immer schlechterer Ausarbeitung. Bis die Gerichte diese Gesetze außer Kraft setzen, dauert es bei meist langen Gerichtsverfahren. Die Richter übernehmen aber immer öfter die Funktion des Korrigierens von Gesetzen. Damit steigt auch die Neigung zu prozessieren.
Ein Großteil der Bürokratie entsteht aus Behörden, die eigentlich unnütz oder viel zu groß dimensioniert sind. Dann versuchen diese Beamten ihre Anwesenheit zu rechtfertigen und fordern von den Bürgern, Unternehmen, Institutionen oder Vereinen völlig unnütze Informationen und Nachweise. Bei der Regelungstiefe gibt es genügend Details, die dann in Bestimmungen umgemünzt werden und deren Vollzug angeordnet wird. Die Nichterfüllung wird mit Strafe bewehrt. Ein typisches Beispiel ist das Transparenzregister. Es sollte Geldwäsche verhindern. Doch eigentlich sind alle Informationen bereits im Handelsregister angelegt. Die Mitarbeiter im Transparenzregister wollen aber ihre eigenen Daten bekommen. Diese vergleichen sie dann mit dem Handelsregister. Durch neue Definitionen oder Angaben füllen sehr viele Laien das Transparenzregister falsch aus. So werden die Ausfüllenden angeschrieben, Korrekturen vorzunehmen. Ihnen wird aber nicht mitgeteilt, was falsch ist. Irgendwann gibt es dann die Geldstrafe, wobei faktisch der Rechtsweg ausgeschaltet ist. Die Behörde prüft selbst den Einspruch und lehnt ihn natürlich immer ab.
Selbst wenn alles korrekt ausgefüllt wäre, würde kein Schwarzgeld aufgedeckt. Das gibt das Gerüst des Transparenzregisters auch gar nicht her, geschweige dass die Mitarbeiter überhaupt nach Geldwäsche suchen. Sie sind alle nur mit sich selbst beschäftigt. Das noch Schlimmere: Sie halten in vielfacher Menge auch die Bürger und Unternehmen auf, verursachen also Drittkosten.
Auch die Digitalisierung ist kein Schlüssel zur Entbürokratisierung. Beim Transparenzregister läuft ja alles digital. Wenn analoge Prozesse digitalisiert werden, kommen so viele Bedenken der Beamten in die digitalen Ausfülldokumente, dass der Ausfüllende weder die Sprache noch die Rechtsbedeutung der Fragen versteht. So kommt eine ähnliche Fehlerquote zustande, die in der Korrektur Zeit und Geld kostet. Hier bedürfte es einer Freigabestelle für elektronische Abfragen, die alles auf Verständlichkeit und Erfüllbarkeit prüft. Völlig unwirtschaftlich läuft ein Antrag, wenn er noch nicht versandt, nicht speicherbar ist. Dann entsteht Sisyphos-Arbeit. Deutschland ist für seine umständlichen und unverständlichen Bildschirmformulare berüchtigt.
Es bräuchte also einen „Braintrust“ wie bei der Verfassung des Grundgesetzes zur Entbürokratisierung. Wenn dieser sich nicht bildet oder durchsetzt, dann sollte wenigstens eine Generalklausel legalisiert werden: Dass solange analog eingereicht werden darf, bis auch der letzte das Digitalverfahren beherrscht. Es muss auch möglich sein, Unnötiges abzulehnen wie eben das Transparenzregister. Doch es bleiben Pferdefüße: Es kann als Firma kein Bankkonto eröffnen ohne Nachweis des ausgefüllten Transparenzregisters, wobei die Banken ja das Handelsregister einsehen könnten. ek
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