Gnade vor Recht

Juni 10, 2024

Abstandsmessungen auf Autobahnen nehmen wieder zu. Wer einen Bußgeldbescheid bekommt, hat bei der heutigen Verkehrsrechtssprechung keine Chance, seinen Punkt erlassen zu bekommen. Die vorgeschriebenen Abstände aber entsprechen nicht der Praxis. Umso überfüllter die Autobahnen sind, insbesondere bei Ferienverkehr, desto unmöglicher wird es, sie einzuhalten. In den Verkehrskolonnen bremsen sich die Fahrer bis zum Stehen Kommen herunter. Wird wieder angefahren und läuft der Verkehr, hält keiner der Kolonnenfahrer diese vorgeschriebenen Abstände ein. Fazit. In solchen Zeiten darf keine Messung vorgenommen oder zumindest nicht ausgewertet werden.

Dieser politische Teil für die Verkehrsrechtssprechung fehlt aber völlig. Weder wissen dies die Richter, noch ist es als Vorschrift verankert. Früher kümmerte sich der ADAC darum. Doch seine politische Kraft ist erloschen, seitdem die „Motorwelt“ nicht mehr an die Mitglieder verteilt wird. Im Einzelfall kann der Verkehrssünder die Richter um Gnade bitten. Ein Weg zu einem oberen Gericht, wo echtes Recht gesprochen wird, ist verwehrt. Dabei ist das Argument sehr einfach: Wenn die Mindestabstände eingehalten würden, käme es zum Verkehrsstillstand. Es würden nur halb so viele Fahrzeuge auf die Autobahn passen.

Wer mit 100 Stundenkilometer dem Vorderfahrzeug folgt, steht unter höchster Konzentration.  Sobald der Vordermann bremst, setzt sich dies in Sekundenbruchteilen nach hinten fort. Verkehrsunfälle entstehen dabei nicht. Wenn aufgefahren wird, kommen Ablenkungen ins Spiel. Dagegen ist aber keine Verkehrsordnung gefeit. Doch die juristischen Vorgaben sollten auch den Verkehrsfluss berücksichtigen. Derzeit unterstellen sie Reaktionszeiten, die im zufälligen Verkehr nötig sind. Bei einem Kolonnenfahren sind sie viel kürzer.

Noch ein Problem: Die Abstandspunkte haben sich nach der Umstellung von 18 auf 8 summierte Punkte, die zum Entzug des Führerscheins auf Dauer führen, nicht geändert. Es entsteht derselbe Punkt aus Nichteinhaltung des Abstands wie früher. Er verfällt nur schneller:  nach zwei Jahren. Das zwingt umso mehr, die Praxis auf den Autobahnen miteinzubringen, also die Bestrafungsregelung den gegebenen Verkehrsverhältnissen anzupassen. Der Autofahrer wird bestraft, weil der Staat nicht genügend breite Autobahnen vorhält. Das kann doch nicht sein! Leider kommen die Verkehrsrichter auch nicht auf solche Notwendigkeiten. Dazu fehlt der juristische Überbau wie im allgemeinen Strafrecht. Der Verkehrssünder wird somit härter bestraft als echte Kriminelle. Dabei wird nur eine Verkehrsordnung vollzogen, also kein Strafgesetzbuch. ek

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