Deutschland steht in Aufruhr. Streiks legen Bahn- und Flugverkehr lahm. Traktoren versperren Autobahneinfahrten. Tausende gehen auf die Straße, um gegen Rechtsradikalismus und Antisemitismus zu demonstrieren. Dass so viele kommen würden, hat selbst die Veranstalter überrascht. Berichte über das Treffen von Neonazis in Potsdam gelten als Auslöser der Bürgerproteste. Dort wurde offen über die Ausweisung von „Nicht-Deutschen“ gesprochen. Das treibt nicht nur alle Deutschen mit Migrationshintergrund auf die Straße. Alle fühlen sich erinnert an die Deportation der Juden, den Holocaust und die Vernichtung Minderwertiger. Der Höcke-Flügel der AfD hält auch die Demokratie für schwach und ablösebedürftig, fordert den Austritt aus der EU und stellt sich auf die Seite Putins.
Die Demokraten, die Mehrheit unseres Staates, will das nicht länger hinnehmen. Sie haben die Gefahr erkannt, dass alles, was in den letzten 75 Jahren aufgebaut wurde, putschartig verlorengehen könnte. Tatsächlich könnte sich die Demokratie durch Mehrheitsbeschluss selbst abschaffen. Die NSDAP mit Hitler als Kanzler war schnell damit fertig. So etwas sollte sich nie wiederholen. Demonstrationen nach 75 Jahren zeigen, dass die Deutschen aus ihrer Vergangenheit gelernt haben. Sie sind aber auch ein Aufruf an die demokratischen Parteien, das Erreichte besser zu schützen. Richtigerweise darf kein Rechtsradikaler Verfassungsrichter werden. Doch die Stop-Schilder und Verbote müssen viel breiter aufgestellt werden. Die Möglichkeiten des Grundgesetzes, sich zu verteidigen, müssen voll ausgeschöpft werden.
Ein Blick nach den USA zeigt, wie schnell die Demokratie in Schieflage gerät. Donald Trump mobilisiert seine Massen. Die Gerichte sind nicht mehr in der Lage, die Kandidatur Trumps zu verhindern, obwohl der Trumpsche Mob das Kapitol stürmte: Es sollte die Präsidentschaftswahl ausser Kraft gesetzt werden. Ein Putschversuch. Wer Wahlergebnisse nicht akzeptiert ist kein Demokrat. Die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft wird immer stärker. Eine Erinnerung an Weimar besteht in den USA nicht. Bei einer erneuten Wahl Trumps wird er seine Macht radikal einsetzen. Das Kapitol wird nachbeten, was Trump vorgibt. Dann regiert ein 2. Putin. Schade, dass es noch keinen Hollywood-Film gibt, der dies vorweg zeigt.
Was in den USA abgeht, treibt die Rechtsradikalen an. Sie wollen ihre Gesinnung nicht mehr verstecken, operieren bereits länderübergreifend, sammeln Querdenker, Impfgegner und Reichsbürger ein. Auch bei uns schreitet die Polarisierung in zwei Lager voran. So wächst das Gefährdungspotential unserer Demokratie. Wenn der ehemalige Chef des Bundesverfassungsschutzes eine rechte Partei gründet, dann bestehen auch im Bundesverfassungsschutz selbst rechtsradikale Elemente. Der Eid auf das Grundgesetz wird wichtiger denn je. Wer seinen Inhalt ablehnt, darf kein öffentliches Amt bekleiden oder in die Politik gewählt werden. Es muss sich jeder selbst entscheiden, auf welcher Seite er steht. Deshalb heißt die Verfassung auch Grundgesetz.
Der Rechtsstaat tut sich oft schwer, Verfassungsfeinde in die Schranken zu weisen. Jeder weiß, dass die Mehrheit der AfD Höcke-Anhänger sind. Aber ein Verbot der AfD fällt allen demokratischen Politikern schwer. Die Petition, Höcke die Grundrechte zu entziehen, ist richtig gemeint, aber sehr schwierig umzusetzen. Eigentlich dürfte er nicht gewählt werden, müsste wegen Volksverhetzung hinter Gittern. Auch gegen diese Unentschlossenheit demonstrieren die Bürger. ek
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