Von wegen Rezession

November 14, 2022

Wer über die letzten zehn Jahre die Meldungen zur wirtschaftlichen Zukunft Deutschlands untersucht, stößt auf das sogenannte „Herbst-Phänomen“: im Oktober und November wird das Wachstum der Wirtschaft im nächsten Jahr viel geringer eingeschätzt. Diese Prognosen lösen sich zu Jahresbeginn auf und keiner will sich an sie erinnern – denn es geht stärker aufwärts. Aus europäischer Sicht wird die Entwicklung der deutschen Wirtschaft jetzt schon als weniger schlimm gesehen. Selbst der Sachverständigenrat korrigierte das Wachstum nach oben – in der jetzigen Zeit, also noch im Herbst!

Das größte Totschlagargument für eine Rezession stellt die Zinspolitik der EZB dar: Wenn die Zinsen so schnell und stark erhöht werden, wird die Wirtschaft abgewürgt. Tatsächlich herrscht in Deutschland, Europa und in der ganzen Welt eine hohe Inflation. Nach Jahren der extremen Geldstabilität trotz Fluten der Märkte mit frisch gedrucktem Geld, schlug das Pendel sehr schnell um. Die gestörten Lieferketten führten zu einem Aussetzen der Märkte, einem Ringen um Ressourcen um jeden Preis. Natürlich würde ein Dämpfen der Wirtschaft durch teures Geld die Nachfrage abkühlen. Doch stammt diese Theorie aus einer „normalen“ Wirtschaft, in der die Nachfrage quasi durch Übermut zu hoch wird, weil die Zügel zu locker gehalten wurden und sie mit der Zinserhöhung wieder angezogen werden.

Doch bildet dieses Modell die heutige Realität ab? Sicherlich nicht die Störungen wie wir sie derzeit erleben: Lock-down in China, überforderte Transportkapazitäten v.a. zur See, Ausfall von Energieträgern durch Krieg, Zerstörung von Produktionsstätten in der Ukraine (bis hin zu den Getreidelieferungen). Bei solchen Krisen handelt die Politik, einschließlich der EZB, immer klug, wenn sie die Märkte finanziell stützt. Dann verschwinden die Engpässe am schnellsten. Für Spekulation bleibt weniger Begründung. Die EZB tat dies bereits vor den akuten großen Krisen. Es ist sehr viel Geld im Umlauf. Zinserhöhungen bringen da weniger Wirkung – Gott sei Dank. Vielleicht erhöht die EZB die Zinsen nur so stark, weil die US-Notenbank damit vorausging und die Euro-Dollar-Relation einigermaßen zu wahren, zu verteidigen ist?

Die Zinswende trifft am härtesten die Wohnungswirtschaft: Bauprojekte werden zurück gestellt, weil sie nicht mehr finanzierbar sind. Doch die Inflation treibt Anleger in Sachwerte. Kommt es also nur zu einer weiteren Verschiebung der Arm-Reich-Linie? Also: der „kleine Mann“ kann sich das Eigenheim nicht mehr leisten, während die Kapitalisten in Grund und Boden stärker investieren. In einer so turbulenten Zeit wirkt die Erhöhung des Preises von Geld (Zinsen) nicht so stark. Wenn die Unternehmer ihre Vorprodukte doppelt so teuer einkaufen wie vor zwei Jahren, zählen Zinsen kaum, auch wenn diese Waren zu finanzieren sind. Sie verteuern den Einkauf um ganze vier Prozent, im Gegensatz zu den 100 % vom Lieferanten.

Wir müssen auf die Lage in den Unternehmen mehr geben als auf Meinungen über die Zukunft. Gerade in solchen Zeiten. Die Staatskassen können einen weiteren Anstieg der Steuereinnahmen verzeichnen. Der Arbeitsmarkt ist leergefegt. Noch nie waren die Auftragsbücher der deutschen Industrie so gefüllt wie heute. Der Bau schiebt noch Projekte für zwei und mehr Jahre vor sich hin. Was kann sich in diesen zwei Jahren nicht alles ändern! Können wir nicht stolz sein, dass die Unternehmen die 100 % gestiegenen Einkaufspreise nur zu 10 % an den Endverbraucher abgeben? Die Lieferketten schließen sich bereits. Energie wird auch schon billiger gehandelt. Wir müssen viel mehr Marktkräfte entfachen als sie zu behindern. Zuversicht ist angesagt. Wenn das Merit-Order-System reformiert würde, käme der Strompreis über Nacht in die Normalität zurück. Die Subventionen der Ampel-Regierung werden verpuffen. Da sie aus Schulden finanziert sind, bewirken sie mehr Inflation, mehr als das Gegengewicht der Zinserhöhung. ek