Ein Ortsvergleich

November 11, 2019

Es gibt das Treffen von Bürgermeistern, Kreisräten, Vereinsvorständen und Behördenleitern an allen Orten im Landkreis. Statistiken erklären Einwohnerzahl, Schularten und Vorsorgeeinrichtungen, Kaufkraft und Verkaufsflächen. Doch damit wird nicht ein Ort in seiner Wesensart erfasst. Vielleicht eher bei Volksfesten, Feierlichkeiten, seinen Gottesdiensten oder speziellen Bräuchen? Beim Durchfahren wird vieles sichtbar, aber so ein richtiges Kennenlernen erfolgt erst, wenn wir in die Häuser gehen und mit den Menschen reden. Auf wirtschaftlicher Ebene ist das der Besuch eines Betriebs, gar eine organisierte Betriebsbesichtigung mit Firmenpräsentation.

In Reichertshofen ist zum Beispiel die Firma Wacker Neuson. Plötzlich ändert sich die Ortswahrnehmung völlig. Das Werk ist wesentlich größer als der Neubau von Thimm in Bruckbach. Immer wieder wurde eine Halle angebaut. Unlängst kam auch ein hohes Verwaltungsgebäude dazu. Wacker Neuson stellt in Reichertshofen Bodenverdichtungsmaschinen her – für den Weltmarkt. Das Gesamtunternehmen umfasst mehrere Milliarden Umsatz, Tausende von Mitarbeitern und Standorte rund um den Globus. Fahrbare Baumaschinen werden in anderen Werken in Deutschland und den USA hergestellt. Wenn auch noch der Hauptsitz mit dem Vorstand in München verblieben ist, in Reichertshofen finden sich die Verwaltung und Schulungseinrichtung (Akademie) für den gesamten Konzern.

Wir können getrost von einem Hidden Champion sprechen, denn seit Jahrzehnten fahren wir von der Autobahn kommend an Wacker-Neuson vorbei in den Ort. Erst bei genauem Hinsehen begreifen wir seine Fläche, seine Größe. Sie wird aber erst vollends erfassbar mit einer Betriebsbegehung. Der Regionalausschuss der IHK für Pfaffenhofen hatte letzten Mittwoch diese Ehre, noch dazu geführt vom Werksleiter persönlich, von Helmut Bauer. Die Fertigungstiefe ist beeindruckend. Wacker Neuson baut in Reichertshofen Zweitakter-Motoren (mit Abgaskatalysatoren) – einzig ein Deutschland. Mittlerweile leisten Elektromotoren die gleiche Arbeit. Auch hier hat Wacker Neuson schon längst die Elektro-Batterie-Schiene parallel hochgezogen.

Wer den Stand von Wacker Neuson auf der diesjährigen Bauma in München besuchte, begriff schnell die Konzerngröße und Exportstärke. Elektrorüttler gehen weg wie warme Semmeln. Die rund 50 Azubis werden allesamt übernommen. Eine gesunde Expansion wird getragen von Erfindungsreichtum. Dabei befindet sich der Metallverarbeiter eigentlich noch im analogen Gestern. Aber der Bau weltweit braucht robuste Geräte, die auch mal vom Kran herabfallen und bei allen Klimata laufen. Das bietet Reichertshofen. Aus sich heraus.

So ändert sich der Gesamteindruck der Nachbarstadt. Wolnzach hat diese Größenordnung nicht, selbst wenn die Altmann AG Europas größter Speziallogistiker ist und viele Hektar Stellfläche für seine Fahrzeuge benötigt, die sogar aus dem Weltraum zu sehen sind. Auch das Wacker Neuson Werk in Reichertshofen ist dies. Die Firmengeschichte unterstreicht die Bedeutung des Werks Reichertshofen: Nach dem Weltkrieg und dem Verlust des ostdeutschen Werks siedelte sich die Familie Wacker in Baar-Ebenhausen an, musste bei Null neu beginnen. Erst 1964 wurde die erste Halle in Reichertshofen gebaut. Von Reichertshofen nahm die Erfolgsgeschichte des Konzerns seinen Anfang und stellt heute noch das Herz des Unternehmens dar.

Erstaunlich, dass für den ersten Bau in Reichertshofen – die Halle mit den Sheddach – ein 20fach größeres Werksgelände gekauft wurde. Vermutlich gab es damals die Fläche zum Schnäppchen-Preis, den doppelten Feldpreis, was ja auch schon eine Win-Win-Situation für Industrie und Landwirt ausmacht, gerade nach dem Weltkrieg und für den Landwirt in dieser Größe ein Vermögen bedeutete. Interessant bleibt das Introvertierte von Wacker Neuson. Im Ort spielen sie keine gesellschaftliche Rolle. Es zählen Arbeitsplätze und Gewerbesteuer. Offensichtlich hat Reichertshofen am Aufschwung von Wacker Neuson nicht so teilgenommen. Werkschef Bauer weiß kein Restaurant im Ort, wohin er seine Besucher und Kunden führen soll. Per Taxi werden sie danach zur Bahn gebracht. Es fehlt an Infrastruktur in Reichertshofen. Auch der angestammte Küchenhersteller „Alsa“ (Alois Schwaiger) hatte keinen Einfluss auf die restliche Ortsentwicklung. Aufbau und Abgang lagen noch in einer Generation. ek