Wer im Foyer des Hallertau Gymnasiums Wolnzach das „große Kreuz mit der schrecklichen Darstellung des leidenden Christus“ sucht, wird es nicht gleich entdecken. Einerseits hängt es ziemlich hoch – wodurch es eher klein wirkt –, andererseits sind in diesem Raum so viele Poster und andere Utensilien, die starke Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Wer Gymnasiasten danach fragte, bekam meist die Antwort: „Das habe ich selbst noch nie gesehen“. Doch durch die landesweite Presse änderte sich die Beachtung. Dieses Kreuz hat Wolnzach und sein Gymnasium berühmt gemacht. Es hätte vermutlich jedes andere bayerische Gymnasium ebenso treffen können, doch das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs fiel gerade zu „unserem“ Kreuz.
Denn geklagt hatten zwei Gymnasiastinnen des HGW. Sie sahen sich durch dieses Kruzifix beeinträchtigt. Dahinter steht eine andere Interessengruppierung. Sie finanzierte den Rechtsweg durch zwei Instanzen. Als nächstes wird sie versuchen, Söders Kreuzerlass von 2018 zu Fall zu bringen. Vermutlich wird sie es auch schaffen, denn der Bayer. Verwaltungsgerichtshof folgte einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1995, das Pflicht-Kreuze in allen Klassenzimmern untersagte. Das folgt aus der verfassungsrechtlich verbürgten negativen Glaubensfreiheit oder anderes ausgedrückt: öffentliche Gebäude sollen keine Glaubenssymbole zugunsten einer Religion zeigen.
Das löst natürlich Proteste christlicher Kirchen und bei christlichen Politikern aus. Sie sprechen von einer Einzelfall-Entscheidung im Wolnzacher Fall. Für sie sollen christliche Symbole u. a. Kreuze zumindest so lange hängen, wie sich niemand darüber aufregt. In Wolnzach haben die beiden Klagenden das Gymnasium mit dem Abitur verlassen. Schulleiter Christian Heller hat im Bayerischen Kultusministerium angefragt, wie er zu verfahren habe. Die Antwort lässt auf sich warten. Also bleibt das Kreuz hängen, zumindest bis sich keiner darüber aufregt. Es ist in seinem hellen Holz eh nicht auffällig, noch grausam, aber mittlerweile berühmt. Aus christlicher Sicht hat es genau seinen Zweck erfüllt. Sollte es abgenommen werden, wird es selbst zum Märtyrer. Auf Märtyrer ist die christliche Kirche aufgebaut. Jesus selbst war der erste. Es war von Christian Heller auch sehr klug, die Presse vom Gymnasium fern zu halten und kein Statement abzugeben.
Bayern ist nun mal von christlichen Symbolen durchzogen: die Kirchen mit ihren Türmen (Heidegger nannte sie Zeigefinger Gottes), das Glockengeläut ab 6 Uhr früh, viele Marterl, die Friedhöfe, Mariensäulen, ja selbst die Europaflagge trägt die 12 Sterne Mariens. Auf der anderen Seite dürfen die Moscheen mit Minaretten und Synagogen gebaut werden, finden sich auch jüdische Symbole in unserem Alltag. Bayern ist tolerant. Mehr wollte das Grundgesetz nicht erreichen. Es wäre auch schon den Wünschen der Klagenden nachgegeben worden, wenn das Kreuz verhüllt würde. Die katholische Kirche übt diese Praxis in der Fastenzeit. Prinzipiell müssen sich die Kirchen aber schon die Frage stellen, warum sie das Kreuz so verherrlichen. Die Kreuzigung Jesu war doch die größte Schmach, die dem Gottessohn angetan wurde. Er wurde hingerichtet wie ein Verbrecher.
Damit erfüllte sich zwar die Schrift, aber den Anhängern war das mehr als peinlich und so wollten sie ihn so schnell wie möglich (nach seinem angenommenen Ableben) vom Kreuz nehmen und beerdigen. Erst durch das Erlebnis der Auferstehung, des Weiterlebens, wurde das Kreuz zum Symbol des Überwindens des Todes. Jeder solle sein Kreuz auf sich nehmen und nicht jammern. Das ist zu leben. Dieser Glaube darf nie untersagt werden. Das gibt das Grundgesetz nicht her – ganz im Gegenteil es garantiert die freie Ausübung jeder Religion. Nur der Staat soll sich dabei heraushalten, neutral sein. Das kommt aus der Aufklärung, der strikten Trennung von Kirche und Staat. ek
Foto: Eduard Kastner