Politik, Wissenschaft und Medien waren so auf eine Rezession eingeschworen, dass sie sich nun schwer tun, auf ein „kleines Wachstum“ zurück zu rudern. Ein negatives Wachstum habe Deutschland nur im vierten Quartal ´22 – mehr statistisch aus vielen Faktoren als echt empfunden – und schon im ersten Quartal ´23 stand ein Plus vor dem Komma. So gab es nicht einmal eine sogenannte „statistische Rezession“ aus zwei aufeinander folgenden Schrumpfungsquartalen. Minister Habeck hob nun
die Wachstumsprognose für 2023 auf 0,4 % an. Dahinter steht ein Verteilungskampf der Ministerien um Mittelzuweisungen vom Finanzministerium, das in 23 die Schuldenbremse einhalten will. Mit einem höheren Wachstum fällt die Steuerschätzung üppiger aus, steigt also der Verteilungsspielraum.
Tatsächlich sprudeln die Steuereinnahmen so stark wie nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik. Gerade Großunternehmen vermelden Spitzengewinne in 2022. Dieses Plus ist noch gar nicht bei Lindner angekommen. Auf der anderen Seite bricht das Geschäft von Bauträgern und -firmen ein. Dennoch sind die Auftragsbücher gefüllt. Es sinkt kurzfristig die Wartezeit auf die Baumaßnahmen. Mittelfristig will die Regierung den Wohnungsbau stark
ankurbeln. So wäre es mir als Hochbauunternehmen und Bauträger nicht bang. Dieser Bereich ist sehr zinsabhängig. Durch die Zinsanhebung der EZB wurden viele Bauprojekte in der Finanzierung zu teuer. Andererseits sind die 3,5 % der EZB ein normales Maß. Der Markt wird sich darauf einpendeln. Für Versicherungen und Banken endete eine Durststrecke. Es ist auch gesund, wenn der Staat für neue Schulden vom Kapitalmarkt nicht mehr Negativzinsen
erhält, also nicht nur keine Zinsen zu zahlen hat, sondern für seine Schulden Zinsen erhält.
Im Gespräch mit Notenbänkern ist es freilich noch schwer, sie zu überzeugen, dass 3,5 % hoch genug sind, die Inflation zu bekämpfen. Die EZB orientiert sich immer an der FED, die jetzt bei 5 % steht. Zugleich geben die europäischen Notenbanken nun zu, dass sie die Zinswende viel zu spät eingeleitet haben und vor allem den Ankauf von Geldmarktpapieren (Quantitative Easing) viel früher hätten aufgeben müssen. Doch wäre es nicht ein Argument, dass sie die nun nötige Zinswende nach unten, zumindest den Verzicht auf weitere Erhöhungen, vor der FED vorgenommen hat, also selbst Akzente setzt. Zumindest wäre dann auch die Einsicht gekommen, dass der Zins nur ein schwaches Instrument der Inflationsbekämpfung darstellt. Die Wiederherstellung des Marktes, des Wettbewerbs, ist viel wichtiger.
Leider halten sich die Gewerkschaften überhaupt nicht an die Forderung des Kanzlers nach einer „konzertierten Aktion“ d. h. die Einsicht, dass die Inflation nur kurzfristig in die Höhe geschossen ist (wegen Lieferproblemen)
und die „Lohn-Preis-Spirale“ nicht anzuwerfen sei. Mit den steuer und sozialversicherungsfreien 3000 € pro Beschäftigten ist ja ein sehr vernünftiges Instrument ausgegeben worden, den kurzfristigen Inflationsschub zu unterlaufen. Die Arbeitgeber nutzen diese 3000 € nun aus, zahlen also aus ihrer Tasche 3000 €, um den Kaufkraverlust auszugleichen. Doch die Löhne sollten dann nicht stärker als sonst steigen, damit daraus nicht neue
Preiserhöhungen der Güter nötig seien (die Lohnerhöhungen sind üblicherweise durch Produktivitätserhöhungen gegenfinanziert). Warum die SPD-nahen Gewerkschaften nun so dem Kanzler in den Rücken fallen? Die Streiks sind so drakonisch und unverhältnismäßig – vielfach trägt sie ja der Bürger mit Einschränkungen mit –, dass nur vermutet werden kann, dass sie aus einer Selbstverteidigung des Gewerkschaftswesens an sich kommen. Seit der Gründung der Gewerkschaften vor 150 Jahren hat sich die Gesellschafft schon so stark gewandelt, dass Gewerkschaften als überflüssig gelten. Doch mit den Streiks bei den Verkehrsträgern machen sie sich so unbeliebt, dass ihre Fürsprache durch den Bürger verloren geht. Erleben wir gerade die letzten Schlachten am Arbeitsmarkt? ek