Wo der Glaube beginnt

November 04, 2024

Auch wenn Allerheiligen schon mit dem Halloween-Spektakel seine Besinnung auf Tod und Glaube zu verlieren droht: Es ist noch ein echter Tag der inneren Einkehr. Dabei wurde dieser Feiertag aus der keltischen Glaubenswelt übernommen. Es ist der Tag, an dem die Verstorbenen zurückkehren. Auch wenn die Christen im Glaubensbekenntnis die Auferstehung der Toten zur Realität erklären, an Allerheiligen kehren die Verstorbenen nur im Gedenken, in der Erinnerung zurück. Die Auferstehung der Toten bezieht sich auf den Jüngsten Tag, wenn Jesus wiederkehrt und alle richtet. Durch die Pflege der Gräber, speziell zu Allerheiligen, drücken die Christen ihre Verbundenheit mit den Verstorbenen aus. Sie bleiben in der Familie. Hier stellt sich auch eine der fundamentalsten Fragen unseres christlichen Glaubens: das Fortleben nach dem Tode, also das ewige Leben.

Wenn mit dem Tode alles aus wäre, würde die Religion ein wesentliches Fundament verlieren. Die Lehre Jesu bezieht sich immer auf das Himmelreich nach dem Tode, getrennt von Hölle und Fegefeuer. Doch wer glaubt heute an das Leben nach dem Tode? Viele verdrängen diese Frage, weil sie sie nicht beantworten können.  Davor steht der Glaube an Gott. Die vielen Kirchenaustritte erfolgen nur vordergründig wegen der Kirchensteuer oder den Mißbrauchsfällen. Es verbirgt sich dahinter auch immer ein Zweifel, ob es Gott wirklich gibt. Es fehlt ihnen an Beweisen der Existenz Gottes. Sie haben ihren Glauben verloren oder verdrängt, ähnlich der Frage nach einem Leben über den Tod hinaus.

Kommen wir zurück zum Glaubensbekenntnis. Wenn Jesus am Jüngsten Tag die Lebenden und die Toten richtet, so stellt sich die Frage, ob diese Wertung nicht schon unmittelbar nach dem leiblichen Tod erfolgen muss und damit sich entscheidet, ob der Verstorbene in die Hölle, das Fegfeuer oder in den Himmel kommt. Dieses Denken mag zwar aus unserer Zeitvorstellung folgen: Es ist ja nicht bekannt, ob unsere Zeit im Jenseits weiter läuft. Womöglich müssen alle Verstorbenen bis zum Jüngsten Tag warten und erst dann entschieden wird, wohin sie kommen. Andererseits folgt aus der katholischen Heiligenverehrung, dass Heilige durchaus in unser Leben wirken, also im Himmel fortleben.

Jesus glaubte selbst, dass seine Wiederkunft nicht lange auf sich warten ließe, dass der Jüngste Tag also absehbar war. Nach 2.000 Jahren relativiert sich das, was dem Glauben schadet. Das Buch der Apokalypse wird zur Fantasie seines Autors, angeblich der Evangelist Johannes. Es sollte die Furcht vor dem Jüngsten Tag und damit Gott verstärken. Um zum Glauben zu führen, war so etwas legitim. Wenn wir die Vorstellung vom Jüngsten Tag, also dem Ende der Erde, ja womöglich des Universums, weiter denken, wären gerade nicht nur acht Milliarden Lebende und ca. 35 Milliarden auferstandene Tote zu richten. Und was sollen sie dann erleben? Schnell stoßen wir ins Paradoxe, ja Sinnlose. Wir müssen unser Glaubensbekenntnis überdenken. Es ist nicht die einzige Partie, die neu zu formulieren wäre.

Abgesehen von Jesus ist noch nie ein Toter als Lebender zurück gekommen. Bei den drei durch Jesus Erweckten sprach Jesus stets, dass sie nur schliefen. In der Medizin gelingt es, beinahe Tote zurück zu holen. Sie berichten von einem hellen Licht, das sie sahen und von einem Gefühl des Glücks. So beginnt der Eintritt in den Tod. Mehr werden wir nicht erfahren. Warum die Natur das so angelegt hat? Danach beginnt der Glaube. Wer ist glücklicher: der, der an das zweite Leben im Jenseits glaubt oder der, für den mit dem Tod alles aus ist? Sicherlich der Glaubende. Damit eng verbunden ist der Glaube an einen Gott, den wir uns nicht vorstellen können und es auch nicht sollen. Es fällt auch schwer, konsequent ein Atheist zu sein. In unserer modernen Welt mit ihrer Digitalisierung und Nachrichten-Fülle besteht so viel Druck auf den Menschen, dass sie die Gott-Frage lieber ungelöst vor sich her schieben. Sie fühlen sich schlichtweg überfordert, sie zu beantworten. Bei jeder Beerdigung kommt die Frage aber wieder hoch. Leider schaffen es auch die Geistlichen nicht, sie überzeugend positiv zu beantworten. Hier müsste die Reform der Kirche ansetzen. ek

Foto: Eduard Kastner