Im September besteht in Bayern eine Hochkonjunktur für Volksfeste. Nahtlos folgen Sie aufeinander. Das Münchner Oktoberfest überlagert alle. Die Landeshauptstadt steht ganz im Bann dieses Großereignisses. Schließlich zieht die „Wiesn“ auch Tausende von Touristen aus aller Welt an. Sie lieben wie die Einheimischen die Stimmung in und vor den Bierzelten, das sorglose Essen und Trinken, dem Lauschen der Volksmusik. Bier wird zum Nationalgetränk, die Wiesn gibt einen Vorgeschmack auf das Paradies.
So scheint die ganze Welt zu fühlen. Nur die Bayern setzen diesen Sonderstatus in die Tat um. Volksfeste verändern sich kaum. Jeder ist froh, das Bierzelt und die Fahrgeschäfte wieder anzutreffen, wie er es sich aus dem Vorjahr in Erinnerung behalten hat. Das Bier schmeckt immer hervorragend, gleich welche Brauerei es liefert. Den Besucher interessiert es nicht, wieviel Arbeit es jedes Jahr bereitet, die ganze Wiesn für ein bis zwei Wochen aus dem nackten Platz entstehen zu lassen. In München wird eine eigene Stadt der Bierzelte errichtet. Millionen von Euros kostet der Auf- und Abbau. Auch die Lagerung der Zelte bedarf eigener Räumlichkeiten. An diesem Vorgehen wird nicht gerüttelt. Dann kostet die Maß eben 15 €.
Alle Besucher kommen heute in Tracht, also der volkstümlichen Kleidung der bayerischen Oberländer. Auch die Verpflegung in den Zelten entspricht voll der bayerischen Küche. Auf dem Oktoberfest gibt es keine Showbands, die die Jugend auf die Bänke treiben. Auf dem Land werden sie schon erwartet, gerade von der Jugend. Überall enden Ausschank und Musik um 23 Uhr. Es wird in Lokalen und Bars weiter gefeiert mit „normaler“ Bestuhlung. In den Bierzelten herrschen die Klappbänke und –tische vor – überall in Bayern. Sie nehmen 10 Personen auf. Keiner regt sich auch, mit anderen und meist fremden Personen an einem Tisch zu sitzen. Und niemand ahnt, wie pingelig die Ordnungsbehörden den Abstand zwischen den Bierbänken vorschreiben und prüfen. Auch Eingangskontrollen werden in München gelassen hingenommen.
Es gibt Münchner, die zieht es jeden Abend aufs Oktoberfest. Für sie ist dort das Glück perfekt. Das gilt in kleinerer Form für jeden Ort mit Volksfest. Jeder hofft auf schönes Wetter in dieser Zeit. Es soll im Bierzelt auch nicht zu heiß sein, weshalb der September der bevorzugte Volksfestmonat geworden ist. Für Schausteller ist gutes Wetter existenziell wichtig. Eine verregnete Wiesn ist wie ein Fluch. Das Oktoberfest – und gleichzeitig das Geisenfelder Volksfest – begannen heuer wieder mit einem Traumsonnenschein. Den Bayern wird dann nachgesagt, sie hätten nicht nur das Paradies auf Erden, sondern auch einen guten „Draht nach oben“.
Edmund Stoiber beschrieb Bayern als „Laptop und Lederhose“, also eine Mischung aus innovativer Arbeit und Traditon. Volksfeste bewahren diese Tradition, schenken Heimat. Wenn alle heute im Dirndl und der Lederhose kommen, bekennen sich alle gerne zu dieser Heimat. Generell ist die Tracht in Bayern zur Festkleidung geworden. Ein Italiener kommt in der Lederhose aufs Oktoberfest. Zuhause würde er sie nie anziehen. Viele Amerikaner glauben, dass ganz Deutschland wie Bayern sei. Gefeiert wird überall, aber mit großen Bierzelten fast nur in Bayern. Interessant, dass alle den bayerischen Habitat für schön finden. Viel keltisches Brauchtum hat sich darin enthalten. Für wenige Einsätze im Jahr unterhält jede größere Brauerei einen von Kaltblütern gezogenen Fasswagen. Der Einzug ins Bierzelt zur Eröffnung der Volksfeste gleicht einer Prozession. Kommt dadurch der „gute Draht nach oben“? ek
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