Der kritische Journalismus wird gerne als vierte Gewalt bezeichnet neben Legislative, Exekutive und Judikative. Er soll die Demokratie, den Rechtsstaat und die Bürger schützen. Doch wie viele kritische Journalisten gibt es in Deutschland noch? Zur Beantwortung dieser Frage lud letzte Woche die Vereinigung Europäischer Journalisten (VEJ) zu einer Abfolge verschiedener Referate mit Diskussion ein. Ihr Vorsitzender Dr. Ralf Schneider ging schon bei der Eröffnung darauf ein, dass sehr große Defizite bestehen. Die „Meinungsmacher“ folgen den Meinungen der Politiker. Es sei Mainstreamjournalismus entstanden. Abweichende Beurteilungen würden schnell in die rechte Ecke gestellt. So ergehe es gerade Roland Tichy, einst Chefredakteur der „Wirtschaftswoche“ und heute Herausgeber von „Tichys Einsichten“.
Tichy: Früher waren Zeitungsverleger sehr wohlhabend und konnten sich erlauben, die Politiker zu kritisieren. Heute verlangen die Zeitungen staatliche Zuschüsse, um zu überleben. Die Zeitungen hätten sich nie veränderten Welten angepasst, mit dem Internet könnten sie vielfach nicht umgehen. Aus dem Internet kamen neue Medien, die aber vielfach nicht politisch sein wollen. Hörfunk und das Fernsehen drängten die Zeitungen zurück. Das Internet aber sei der größte Feind der gedruckten Zeitung.
Wer aber Zuschüsse braucht, werde von den Zuschussgebern = Politik abhängig. Hinzu kommt das Streichen vieler Journalistenstellen. So wird eingehende Recherche zum echten Zeitproblem und unterlassen. Zugleich würden Radio, Fernsehen und Zeitungen immer ähnlicher. Tichy bezichtigt den Bayerischen Rundfunk, keinem echten Journalismus nachzugehen. Für die restlichen ARD-Sender und das ZDF träfe das ebenso zu. Der Rundfunkpflichtbeitrag komme der Kultur zugute, aber nicht dem politischen Journalismus. Ein Fernseh-Satiriker wird gar eingesetzt, um einen Behördenchef abzusägen. Die nötige Recherche kam zu kurz.
Der Dritte in der Runde kam aus Österreich: MEP Lukas Mandl. Er gehört der EVP-Fraktion an. Auch er vermisst kritischen Politik-Journalismus in Deutschland, aber auch in seinem Heimatland. Einen Journalismus für die EU gibt es (noch) nicht. Insofern wird die EU-Politik in den nationalen Medien kommentiert, aber das nur punktuell. Die persönliche Faktenlage des Lesers kommt zu kurz. So beten die Leser die Meinungsbilder der Medien nach. Wenn KI im Journalismus eingesetzt wird, dann muss dies gekennzeichnet werden – ist es aber nicht. Mandl versucht, im Europäischen Parlament solche Vorgaben durchzubringen. In den provokanten Thesen Tichys sah er aber auch eine Gefahr: Die Wirklichkeit sei immer vielschichtiger und es werden durch die Abwertungen die letzten engagierten Journalisten auch noch demotiviert bzw. desavouiert. Die große Gefahr bestünde aber im Realitätsverlust. Politiker müssten durch Journalisten ständig mit den Realitäten konfrontiert werden. Wenn aber die Journalisten nur das nachbeten, was die Politiker von sich geben, kommt es zur Fehlpolitik, die mit einem tiefen Fall endet, womöglich mit großen volkswirtschaftlichen Schäden. ek