Auch wenn Hubert Aiwanger ein anderes Kommunikationskonzept rund um des Schülerflugblatt gewählt hat, so gehören die Umstände der damaligen Zeit doch einmal offen auf den Tisch nach dem Motto des Bayern: Mit dem Reden wird die Sach ausgemacht. Vermutlich kann dies Aiwanger auch gar nicht selbst. Doch es geht um die richtige Darlegung. Erst dann kann geurteilt werden.
Wir müssen beim eigenen Dialekt der Aiwangers anfangen. Er klingt mehr nach Frank-Markus Barwassers Belzig als niederbayrisch. Alle in Aiwangers Dorf sprechen so, aber nur dort. Wer dann ins Gymnasium kommt, wird so schnell zum Sonderling. Deshalb braucht es Mutproben und ähnliches, um anerkannt zu werden. Bei Hubert Aiwanger waren es Imitationen von Hitler, die er gekonnt spielte. Das und Ähnliches traute sich sonst keiner. Das Flugblatt im Nazivokabular war eine Steigerung. Dass Hubert Aiwanger es nicht selbst verfasste, liegt auf der Hand: Wer sein Vokabular kennt und seinen Satzaufbau muss feststellen, das sind keine Formulierungen des Hubert Aiwanger schon gar nicht als 15-Jähriger. Ob sein Bruder Helmut der Verfasser war, kann bewusst offenbleiben. Dazu müsste man Helmut Aiwanger kennen.
Zumindest ließ Helmut Aiwanger durchblicken, was die Motivation für das Flugblatt war: Es richtete sich gegen die Lehrer, die in den Augen der Aiwangers viel zu weit links standen. Sie kamen ja alle aus der 68er Bewegung. Andere warfen Stinkbomben oder schissen den Lehrern vor die Tür – so ging es damals wirklich zu. Die Aiwangers zündelten mit Nazi-Wissen und -Vokabular. Ein Anti-Semitismus wird heute hineingedeutet, der aber nicht beabsichtigt war. Das bestätigt selbst der Nationalsozialismus-Forscher Dr. Wolfgang Benz aktuell in der Süddeutschen. Es ging gegen die Lehrer, auch um sich zu profilieren. Hubert Aiwanger wurde erwischt und abgestraft. Aus der Sicht der Mitschüler eine Blamage für Hubert Aiwanger. Danach war der Spuk vorbei. Auch das gehörte damals zum Schulalltag. Wahrscheinlich urteilte das Lehrerkollegium über die Urheberschaft ähnlich. Es war also keine Nazi-Gesinnung, die auszurotten war, sondern ein Dumme-Junge-Streich mit einem hohen Wissen um Nazi-Methoden. Dass es bis heute Lehrer des Gymnasiums gibt, die Hubert Aiwanger nicht leiden können, ist doch ganz normal, insbesondere in Anbetracht seines politischen Erfolgs und wenn sie in einem anderen politischen Lager zuhause sind.
Alle, die Hubert Aiwanger seit seinem Einstieg in die Politik begleitet haben, testieren ihm, kein NS-Denken zu praktizieren. Er hätte es bei den Freien Wählern nie soweit gebracht. Manche seiner Äußerungen sind zu unbeholfen bayrisch, so dass Gegener ihn sofort in die rechte Ecke stellen wollen. Doch aus der kommt er immer heraus. Soviel Rhetorik beherrscht er, auch wenn er neben Söder auf diesem Gebiet einen schweren Stand hat. Es ist also keine „Gefahr in Verzug“ für unsere Demokratie, noch angemessen, Dumme-Junge-Streiche nach 35 Jahren derart aufzutischen, zur Staatsaffaire aufzublasen. Aber im Wahlkampf sei eben alles erlaubt – wirklich? ek