Das Phänomen Polt

März 13, 2023

Am 20. Mai ist es soweit: Gerhard Polt und die Well-Brüder treten in der Wolnzacher Volksfesthallt auf. Eingefädelt hat dies Michael Eberwein. Der Markt Wolnzach tritt als Co-Veranstalter auf. Die Karten sind freilich alle sofort verkauft gewesen – wie beim Tonelliball. Davon können andere Humoristen nur träumen. Grund, über die Beliebtheit Polts nachzudenken.

Derzeit läuft von Polt und den Well-Brüdern in den Münchner Kammerspielen die Aufführung „A scheene Leich“. Es bleibt das ganze Jahr auf dem Spielplan. Hier könnten also noch Karten ab Mai zu ergattern sein. Sie sind ihre 40 € wert. Fast zwei Stunden dauert die Vorstellung: Gerhard Polt bringt seine Sketche, die Well-Brüder spielen auf vielen unterschiedlichen Instrumenten. Nur die Alphörner fehlen. Sie werden aber sicher in Wolnzach vorgehalten. Stofferl, Miche und Karli Well sind musikalische Urgesteine, sie lieben die bayerische Volksmusik, entwickeln daraus die Inszenierungen auf der Bühne – sie spielen fast immer. Übrigens auch nach der Aufführung in der Kantine der Kammerspiele, besonders, wenn Regisseur Ruedi Häusermann aus der Schweiz auftaucht, ebenfalls ein begnadeter Musiker, v.a. auf der Klarinette.

Die Musik bringt auch das Heitere in das an sich makabre Thema, so wie der Leichenschmaus das Dieseits hoch leben läßt und meist fröhlich endet. Vielleicht packte Gerhard Polt auch das Thema an, weil er letztes Jahr seinen 80. feierte. Er ist zwar noch top fit, aber es stellt sich auch bei ihm die Frage der Endlichkeit, des Todes und was danach sein könnte. Fast alle Ideen des Stücks stammen von ihm. Sie reiften unter der Kritik Häusermanns und in drei Jahren des Schiebens der Aufführung wegen des Corona-Lockdowns. Sicherlich wüsste Polt noch weitere Pointen einzubauen, aber zwei Stunden Dauer sind oberstes Gebot. So gibt es eine geplante Zugabe nach vielen Klatschrunden für die Aufführenden. Polt bedankt sich wie immer für das „schöne Geräusch“ des Applauses.

Während die anderen Schauspieler, v.a. ein „Laienchor“ die Szenen verfremden, Wände schieben, Theater bringen und die Wells die Gaudiburschen darstellen, zeigt Polt seine ganze schauspielerische Größe. Er wird gerne als „Jahrhundertphänomen“ geehrt. Wenn er lächelt, freut sich mit ihm das ganze Publikum. Noch mehr gibt und gab er den mürrischen Polt, den Anti-Bürger, sein Schlüpfen in Rollen, die wir moralisch verurteilen, – um sie ins Groteske, ins Absurde zu führen. Bei der „Scheenen Leich“ ist es der geschäftstüchtige Bestattungsunternehmer, der seinen Unternehmensübergeber beerdigt und hoch leben lässt für all seine biederen Verdienste. Und dann die vorletzte Szene: Polt sitzt in einem leeren Wirtshaus, füllt sich einen Teller Suppe und löffelt ihn bedächtig aus. Keine Worte, nur schlichtes Essen, das aber bei Polt zum Protest gegen den Umgang mit dem Tod wird. Am Ende sagt dann Polt: „Das war`s“. Natürlich war damit auch das Ende der Aufführung gemeint, doch es wurde empfunden als Ende des Lebens. Nur Polt kann so real makaber sein. Bei allen anderen würde das künstlich gespielt wirken.

Polt bringt aber auch einen Klassiker, seit Jahren vorgetragen: Eine Leiche aufgebahrt, der Tote mit weit aufgerissenem Mund. Eine dicke Fleischfliege kommt und fliegt hinein, brummt in diesem Schlund. Alles gespielt von Gerhard Polt stehend. Das Begleitheft erklärt, dass Polt dies als Fünfjähriger in Altötting erlebte, wo er neben dem Friedhof aufwuchs. So begleitete das Thema Tod seitdem Polt. Es ging ihm im Sketsch um die Würde des Toten. Dazu sein Ausspruch: „Es wird immer mehr von Würde gesprochen, je weniger sie da ist!“ Ja, Polt ist nachdenklicher, philosophisch tiefgreifender als Karl Valentin, das andere „Jahrhundert-Phänomen“, das durch seine brillanten Sätze glänzte, die alle verdutzten. Bei Polt sind es ganze Szenen, die seine Einmaligkeit bestimmen und uns nachdenklich werden lassen. Mit dem Toten kennzeichnet er den Lebenden. Polt spielt das Alltagsleben nach. Mit ihm erkennen wir darin erst die Sinnbrüche, die Widersprüchlichkeiten, das menschlich Beschränkte. Das kann nur Polt – ohne Worte. Polt selbst ist das Wort. Und es hat Gewicht wie bei keinem anderen. Schauen Sie Polt so viel Sie noch können. ek