Das Brenner-Dilemma

Januar 23, 2023

Seit Jahren wird von zwei Seiten der Brennerbasistunnel durch den Fels getrieben. Ein Multimilliardenprojekt, mitfinanziert von der EU als wichtiges Verbindungselement Nordeuropas mit dem Süden. Mittlerweile hat sich die Deutsche Bahn (DB) für einen Terminalstandort entschieden, von dem aus die deutschen LKWs auf die Schiene verladen werden, um durch den Tunnel in Südtirol anzukommen. 2032 soll der Tunnel fertiggestellt sein. Die DB rechnet, das Terminal 2038 in Betrieb zu nehmen. Nach Aussage der DB sei dies nicht früher nötig, da die ersten Jahre die bisherige Bahnanbindung verwendet wird, die mit einer kostenmäßig überschaubaren Ertüchtigung auskommt. Die Züge könnten länger sein, da keine Steigung mehr zu überwinden ist. Alles plausibel?

Verkehrsströme lassen sich mit echten Flüssen vergleichen. Wo das Wasser am schnellsten ans Ziel kommt, spielt sich der Lauf der Dinge ein. Mit dem LKW-Verkehr ist es ähnlich. Wird ein Lastzug von Rosenheim eine Stunde gegen Norden fahren, um Verladen zu werden? Schließlich bringt der Zug Mehrkosten. Wenn nun die Verladung zeitaufwendig ist, womöglich auch die Entladung, dann kann es sein, dass dieser Lastzug wie jetzt auf der Straße über den Brenner fährt. Für Tiroler LKWs ist das noch wahrscheinlicher. Natürlich nutzen den Tunnel auch normale Güter- und auch Personenzüge. Beim Bau sind Eigenheiten der verbundenen Länder umzusetzen. So hat die italienische Bahn eine andere Stromspannung, der Gegenverkehr kommt von der anderen Seite und jeder Lokführer muss einen Begleiter bekommen. Die Konsequenzen: In der Mitte des Tunnels kommt es zu einem kritischen Spannungswechsel und eine Röhre wird unter der anderen geleitet. Wo der Begleiter zusteigt, ist noch nicht geklärt. Womöglich erst am Zielbahnhof.

2038 wird sicherlich viel LKW-Volumen auf der Schiene durch Tirol fahren. Blockabfertigungen sind dann nicht mehr nötig. Doch sie müssen schon viel früher aufgegeben werden, zumal sie europarechtlich unzulässig sind. Die 6 Jahre Verzögerung der LKW-Verladung zwischen Grafing und Ostermünchen aber bedeutet auch einen Schlag ins Gesicht der Tiroler. So ringt die europäische Politik um Lösungen. Wenn die LKWs elektrisch betrieben werden, wäre die Umweltbelastung viel geringer. Hier wird noch verhandelt, in welchen Abständen Ladesäulen für LKWs entlang der Brenner-Autobahn angelegt werden. Doch Elektro-LKWs gibt es noch nicht. Immerhin hat sich MAN für diesen Antrieb entschieden. In der Marktdurchdringung werden weitere Jahre vergehen. Eine andere Lösung wäre das Aufspalten des CO2 nach der Verbrennung. Dann ergäbe sich sogar bessere Luft als ohne LKW-Verkehr.

Doch Ingenieure winken ab. Nach dem Energieerhaltungssatz geht diese Aufspaltung nur, wenn mindestens die gleiche Energie eingesetzt wird, wie sie sich aus der Verbrennung ergibt. Ansonsten würde ein Perpetuum Mobile entstehen, das es ja per Definition nicht geben kann. Es bedarf einer Erweiterung der Relativitätstheorie, um dieses Dogma zu durchbrechen. Weitere Lösungen für Tirol sind freilich nicht in Sicht. Blockabfertigungen sind reine Willkür, wenn sie nicht ständig durchgeführt werden. Das aber wäre der Untergang des Transitvolumens zwischen Deutschland und Italien. Insofern wäre es intelligent, die LKW-Verladung jetzt schon zu verstärken. Das Terminal hätte also die Aufgabe, viel Verkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Bei Blockabfertigung beginnt der Stau auf der A9 in Holzkirchen. Dann würden kurze Züge über den Brenner fahren, mit ihrer Zahl ließe sich das Volumen noch steigern, wenn auch nicht beliebig. Die DB hat auch vor, die Digitalisierung voranzutreiben, wodurch der Durchsatz gesteigert und die Verladezeiten gesenkt würden. Ferner sind automatische Kupplungen für die Waggons vorgesehen – bislang wurden alle Waggonverbindungen von Hand vorgenommen und gelöst. Was für ein Rationalisierungspotential! Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels.

Auch könnte nachgedacht werden, mehr PKWs per Schiene über die Alpen zu bringen. Dazu könnten viele kleine Beladungen helfen – wie ArsAltmann es ja auch täglich schafft. Damit könnte sofort begonnen werden. So sähen die Tiroler, dass auch wir uns bemühen, ihr Problem zu lindern und nicht stur auf das recht setzten. Und könnten nicht weitere kleinere Terminals für LKWs schneller gebaut werden, z. B. bei Rosenheim? Immerhin gibt es aus klimaökologischer Sicht eine große Versuchung für die Verladung: die Züge durch den Tunnel können von Südtirol Ökostrom in ausreichender Menge bekommen. Auch Tirol bekommt seinen Ökostrom aus der Wasserkraft. ek