Bei der letzten Sitzung des Regionalausschusses der IHK hielt Hauptgeschäftsführer Dr. Manfred Gößl einen Ausblick auf die weitere wirtschaftliche Entwicklung Bayerns. In der Konjunkturbefragung von 3.000 Unternehmen Bayerns bildete sich eine vorsichtig pessimistische Erwartung. Durch den Krieg Russlands in der Ukraine würden sich die Lieferkettenprobleme vergrößern. Aus Russland, Weißrussland und der Ukraine kommen nicht nur Gas, Öl, Kraftstoffe, Kohle und Weizen, sondern auch Stahlmatten, Nägel, Dünger bis hin zu Kabelbäumen für die Automobilindustrie. All diese Produkte fehlen nun, auch wenn es gelang, einige Produktionen aus der Ukraine nach Bulgarien und Rumänien zu verlagern. Auf jeden Fall werden sie teurer. Kohle und Öl lassen sich relativ schnell aus anderen Ländern beziehen. Doch wenn das russische Gas ausfällt, steht die bayerische Wirtschaft. So können viele chemische Produkte nicht hergestellt werden. Das Gas wird eingesetzt zum Trocknen von Getreide bis Papierbahnen. Durch die enge Verflechtung der Wirtschaft genügt der Ausfall eines Rohstoffs, dass die Endprodukte nicht hergestellt werden können. Noch braucht Putin die Einnahmen aus den Gaslieferungen für seinen Krieg. Doch es liegt in seiner Willkür, Deutschland zur Kriegspartei zu erklären und die Lieferung einzustellen. Dr. Gößl: „Eine kaputte bayerische Wirtschaft kann sich auch nicht verteidigen“.
Die zweite akute Krisenregion: Shanghai. Durch den totalen Lockdown gegen die Omnikron-Variante wurden Schiffe im größten Hafen der Welt nicht ent- und beladen. Das schadet unserem Export und es fehlen viele Vorprodukte für unsere Betriebe. Das wirke sich in ein paar Wochen aus. Überhaupt sei die Abhängigkeit von China sehr groß. Auch sie müsse schnellstens abgebaut werden, zumal China nach Taiwan greifen will und sich nicht von Putin distanziert. Durch die höhere Nachfrage nach der Corona-Epidemie über der Produktknappheit aus Lieferkettenproblemen stiegen die Preise wie noch nie in der deutschen Nachkriegsgeschichte. 30 % beträgt die Inflation bei den Lieferungen der Unternehmen an andere. Dr. Gößl erwartet ein Drittel davon beim Endkunden, also in den Geschäften. Das sei aus früheren Perioden errechnet. Alles was die Bundesregierung zum Schutz der Verbraucher, vor allem einkommensschwächerer Bürger, unternehme, greife zu kurz.
So rechnet die Wirtschaft mit steigenden Lohnforderungen. Die Lohn-Preis-Spirale beginne sich zu drehen. Erstmals sehe auch die Bauindustrie pessimistisch in die Zukunft. Es kann von einem regelrechten Absturz der Erwartungen der bayerischen Wirtschaft gesprochen werden mit daraus resultierenden Entscheidungen wie dem Schieben von Investitionen. Mit dem Regieren der EZB auf die Inflation wird die Wirtschaft abgebremst. Eine Angebotsinflation könne aber viel schwieriger bekämpft werden als eine Nachfrageinflation. Kommt es zur Stagflation, also Inflation bei Schrumpfen der Wirtschaft?
Auch wenn sich die Ukrainer tapfer schlagen und der Angriffskrieg ins Stocken geraten ist, so ist doch eine Befürchtung weiterer Eskalationen vorhanden. Als einziger Ausreisser in den Prognosen fällt der Tourismus auf. Hier gehen die Erwartungen von Fluggesellschaften, Messen, Hotels und Gastronomie steil nach oben. Corona gilt als überwunden. Nach zwei Jahren der Existenzgefährdung will diese Branche nun loslegen und aufholen. Doch es gibt auch Konjunkturforscher, v.a. in den USA, die keine Rezession der Weltwirtschaft vorhersehen. Die Probleme Chinas ließen sich schneller beheben als vermutet. Der wirtschaftliche Druck befördere die Aufhebung des totalen Lockdowns. Die Weltwirtschaft wäre stark genug, russisches Öl und russische Kohle auszugleichen. Gas würde aus den USA geliefert. Nach den weltweiten Lockdowns würde die Wirtschaft wieder aufholen wollen.
Wahrscheinlich liegt die Wahrheit in der Mitte. Zu Beginn der Corona-Epidemie verordnete Dr. Gößl seinem Haus einen Haushaltsstop, weil vermutet wurde, dass die Steuereinnahmen in der Krise einbrechen. Dies war nicht der Fall. Die bayerische Wirtschaft kam dank Kurzarbeitergeld und Überbrückungshilfen durch die Krise. Heute kann Lindner auf die höchsten Steuereinnahmen in der Geschichte der Bundesrepublik blicken. Die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft sollen nicht unterschätzt werden. ek